Diözese St. Pölten

 

Erklärung

der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der internationalen Tagung "Lebensethik in christlicher Perspektive"

Die Teilnehmer der internationalen Tagung "Lebensethik in christlicher Perspektive", die im Rahmen des Mitteleuropäischen Katholikentages von 3. bis 5. Oktober 2003 in Bratislava stattfand, haben sich mit aktuellen Fragen der gegenwärtigen Biomedizin, Bioethik und Biopolitik aus der Perspektive der christlichen geistigen und kulturellen Erbschaft beschäftigt, deren Entwicklung sie als eine gemeinsamme und dringende Aufgabe aller Völker und Länder in der Region Mitteleuropa und auch jenseits dieser betrachten.

Diese Aufgabe wird noch dringender in Betracht des sich nähernden Beitrittes dieser Länder in die Völkergemeinschaft der Europäischen Union, die zu einem wahren Fundament des "gemeinsamen Hauses" aller Völker und Einwohner Europas werden sollte.

Nebst gerechter und fester wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen hängt die Errichtung eines gemeinsamen Hauses für alle Mitbürger des vereinten Europas hauptsächlich von der Achtung und Entwicklung der geistlichen und kulturellen Werte ab, die den Inhalt des erwähnten Erbes bilden, das als ein unabtrennbarer Bestandteil der Gründung eines prosperierenden, sicheren und gastfreundlichen "Europahauses"weiterbehalten werden muß. Dieses gemeinsame Haus ist unter einem ständigen und offenem Freundschaftsdialog aller gutwilligen Menschen aufzubauen - in diesem Dialog haben die Christen Europas eine unvertretbare Aufgabe und Verantwortung, wozu sie bei der Verkündigung und Verwirklichung des Evangeliums sowohl persönlich wie auch gemeinsam berufen sind.

Zu den dringenden Problemen unserer Zeit gehören zweifellos ernsthafte Ethikfragen in Zusammenhang mit dem grandiösen Fortschritt und den Ergebnissen der Wissenschaftsforschung im Bereich der Biologie- und Medizinwissenschaften, die das Geheimnis des biologischen Seins des Menschens bis hin zu dessen eigentlichen molekularen Lebensgrundlagen lüften. Am Anfang des neuen Jahrhunderts und Jahrtausends gibt es also nie vorher gesehene technische und technologische Mittel, die in die Hände des Menschens geraten. Durch ihre verantwortungsvolle Ausnutzung können viele schwerwiegenden Probleme der heutigen Medizin, des Gesundheitswesens sowie Umweltprobleme und umweltkultivierungsbezogene Probleme gelöst werden - und es gibt dadurch eine große Hoffnung für die gesammte Menschenfamilie. Die Christen sind berufen, sich am Fortschritt und einer gerechten Nutzung der Errungenschaften von Wissenschaft, Technik und modernen Technologien zu Gunsten des Menschens und in Übereinstimmung mit dessen Würde und Achtung von grundlegenden Menschenrechten und Freiheiten aktiv und verantwortlich zu beteiligen.

Die mächtige Wirksamkeit dieser Mittel trägt mit sich allerdings auch das Problem einiger ernsthaften Risiken, die ein unmittelbarer Mißbrauch oder eine Anwendung dieser Mittel in Widerspruch mit der Berufung, der Würde und dem wahren Wohl des Menschens - als Einzelnen oder als Mitglied einer Familie, eines Volkes oder Landes - darstellen könnte. Diese Risiken betreffen heutzutage immer mehr auch diejenigen Generationen, die in nächster oder entfernter Zukunft die Erde bewohnen werden, sie reichen ja sogar bis zu den eigentlichen Grundlagen der menschlichen Existenz und der potentiellen Entwicklung der menschlichen Zivilisation hinaus.

Bei der Lösung der erwähnten Probleme im Kontext der Errichtung eines vereinten Europas steht die wesentliche Aufgabe sowie die vorrangige Verantwortung den Christen zu, die die Prinzipien des "Evangelium des Lebens" umsetzen und verwirklichen können und sollen, denn das Evangelium ist eine frohe Botschaft, die an alle Völker und Einwohner Europas sowie an alle Menschen guten Willens, an unsere Zeitgenossen wie auch an die Menschen der künftigen Generation gerichtet ist. Die Herrichtung der "Kultur des Lebens" und die Widerstandleistung der vernichtenden Wirkung der "Kultur des Todes" ist eine lebenswichtige Aufgabe für alle diejenigen, denen die Schaffung und Aufrechterhaltung eines gemeinsammen "Europahauses" am Herzen liegt.

Im Lichte der Anregungen und Anforderungen aus dem "Evangelium des Lebens" wenden sich die Konferenzteilnehmer an alle diejenigen, denen die Verantwortung für das Entscheidungstreffen über die Zukunft der Völker und Länder des vereinigten Europas anvertraut ist; insbesondere an die Abgeordneten der Gesetzgebungsorgane, Regierungsvertreter, Vertreter von regionalen Organen, politischen Parteien und Gruppierungen, Mitarbeiter der Institutionen für Wissenschaft und Bildung, Mitglieder und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, und ganz besonders an die Mitarbeiter von Massenmedien, mit einer dringenden Herausforderung und dem Verlangen, die drohenden Angriffe gegen das Leben, die Würde, Identität und Integrität des Menschens nachdrücklich und konsequent abzulehnen, die heutzutage aus den Positionen einiger alt-neuen menschenfeindlichen Ideologien oder aus dem Gesichtspunkt der engbegriffenen Individual- oder Gruppeninteressen verübt werden.

Wir verlangen dringend, daß man den Mißbrauch der ständig wachsenden Kenntnisse und der ständig wirkungsvolleren wissenschaftlichen und technischen Mittel verhindert und vorbeugt und anstatt davon eine gerechte und verantwortliche Nutzung dieser Mittel für das Wohl des Menschens - sowohl des Individuums als auch der Menschengemeinschaften - fördert.

Insbesondere verlangen wir, daß die Gesetze, die das Menschenleben von seiner Empfängnis an bis hin zum natürlichen Tode schützen, sowie die Gesetze, welche die menschliche Würde, Identität, Integrität und grundlegende Menschen- und Bürgerrechte schützen, unterstützt und wirksam umgesetzt werden.

Wir sind für ein konsequentes und vollständiges Verbot der Klonung von Menschen in jedem Entwicklungs- und Bildungsstadium des menschlichen Wesens, sowie für ein Verbot von allen gefährlichen Manipulationen oder Experimenten, bei welchen das Leben oder die Gesundheit des menschlichen Embryos, des Föten oder des empfangenen Kindes gefährdet ist.

Wir verlangen ein Verbot von künstlicher Produktion von menschlichen Embryonen, ein Verbot von ihrer Produktion für Forschungszwecke sowie ein Verbot von Mißbrauch der bereits bestehenden menschlichen Embryone oder Föten für solche Forschung, die deren Leben oder Gesundheit angreift.

Wir verlangen ein Verbot von solchartigen Verfahren der forschungs- oder therapeutisch orientierten Gewinnung von Embryonalstammzellen, die eine Vernichtung oder Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit des menschlichen Embryos oder Föten einbegreifen oder voraussetzen würden.

Wir sind für eine erhöhte Förderung der Forschung von somatischen (adulten) Stammzellen sowie der Forschung sämtlicher biomedizinischen Verfahren und Technologien, insbesondere im Zusammenhang mit neuen Diagnostik- und Heilungsmethoden im Bereich der Molekularbiologie, medizinischer Genetik und Biologie, die das menschliche Leben, Würde, Identität, Integrität, Gesundheit und das wahre Wohl des Menschens achten.

Bei der Umsetzung von Methoden und Verfahren der medizinischen Genetik und Biologie verlangen wir, daß die Würde, Identität, Integrität und das wahre Wohls der menschlichen Person, der Menschengemeinschaften, aber auch die Interessen der Menschengenerationen, die auf der Erde in der Zukunft leben werden, konsequent geschützt und geachtet werden; insbesondere verlangen wir den Schutz vor unzulässigen Eingriffen in das menschliche Genom, die sich auf die Nachkommenschaft übertragen, sowie auch den Schutz vor jeder Art von negativer Diskriminierung auf Grund von genetischer Ausstattung eines Individuums oder einer bestimmten Gruppe.

Wir verlangen einen konsequenten und eindeutigen Schutz des menschlichen Lebens insbesondere in den Situationen, wenn dieses auf Grund seiner besonderen Verletzbarkeit, einer Krankeit, physischer oder psychischer Behinderung gefährdet ist. Wir verlangen eine eindeutige Ablehnung von Sterbehilfe, Freitodbegleitung, Schwangerschaftsabbruch und moralisch unzulässigen Manipulationen am Anfang des Menschenlebens.

Wir verlangen einen konsequenten und eindeutigen Rechtsschutz für die Familie, die auf der Ehegemeinschaft von Mann und Frau beruht, sowie eine größtmögliche Förderung der Familie durch Gesellschaft und Staat. Wir verlangen Schutz und Umsetzung von Kinderrechten, einschließlich des Rechtes des Kindes auf dessen Empfängnis in und aus der Ehe, sowie des Rechtes des Kindes auf Schaffung von günstigen Bedingungen für dessen körperliche, geistige und spirituelle Entwicklung und Schutz vor jederart Mißbrauch, Ausbeutung und Erpressung. Wir verlangen einen konsequenten legislativen Schutz und wirksamme Maßnahmen, die jede Form von Menschenhandel und Handel mit menschlichen Organen und Geweben sowie auch jede Form von neuzeitlicher Sklaverei, Menschenausbeutung und Erniedrigung der Menschenwürde, vor allem der Würde der Frau, der Mutter und ihres Kindes, verhindern würden.

Wir glauben fest daran, daß die Durchsetzung der gestellten Forderungen im Interesse aller Menschen guten Willens ist, die gerade in unserer Zeit dazu berufen sind, der Schaffung und Gestaltung eines neuen Europas, eines Kontinentes von Hoffnung, Gerechtigkeit und Friede für alle seine Völker wie auch für alle Menschen und Völker der ganzen Welt, beizusteuern. Wir sind überzeugt, daß auch die Völker der mitteleuropäischen Länder eine unvertretbare Stelle und Verantwortung in diesem Streben einnehmen und dass ihre christlichen Wurzeln und Erbe zu einer wichtigen und lebensfähigen Grundlage und Voraussetzung für eine entwicklungsbezogene Zukunftshoffnung werden können.

Begleite der Friede, die Liebe und Gottes Segen und Barmherzigkeit alle Völker Europas und der Welt auf den Kreuzwegen der Geschichte, die sie in diesem wichtigen Abschnitt ihrer sowohl nationalen wie auch gemeinsamen Geschichte gemeinsam überqueren!


Bratislava, am 5. Oktober 2003


Konferenzteilnehmer

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